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Living Case Study Dresden

Living Case Study #Dresden: present at bautzner69

2013

found objects from Dresden, unwanted objects from a family: W&P
dimensions variable

Ausstellungsraum bautzner69, Dresden
September 28 - October 12, 2013

http://www.bautzner69.de/

Photos by: Karen Weinert, Megumi Fukuda

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ICH BIN EIN GAST GEWESEN


Dieser Buchtitel des gleichnamigen Gedichts von Jürgen Henkys könnte im übertragenen Sinne das Herzstück der im Herbst 2013 von Megumi Fukuda (*1976) realisierten und im Ausstellungsraum bautzner69 präsentierten raumspezifischen Installation aus Sperrmüll sein. Neben dem roten Buch befindet sich ein japanisches Teeservice, darüber zwei Gehhilfen, deren Manschetten sich umschlingen. Ein gelber Koffer steht scheu auf dem Fensterbrett, ein Kabel rotiert, Fensterläden an den Wänden suggerieren Fenster, Blumenkästen schmücken Trockenbauwand und Heizung. Dazwischen finden sich alte Möbel, Entwicklerdosen, elektrisches Gerät, Fahrradteile, Kleiderbügel, Scheren, Haarbürsten und Küchengeschirr – allesamt Alltagsgegenstände, die die Künstlerin während ihres einmonatigen Aufenthaltes in Dresden gesammelt hat. Nichts ist zufällig, alles hat seinen Platz in diesem sorgfältig arrangierten Ensemble. Als Jubiläumsgast anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Ausstellungsraumes eingeladen, schuf Fukuda in Zusammenwirken mit der Betreiberin und Fotografin Karen Weinert eine eindrucksvolle Betrachtung über Zeit sowie Themen des persönlichen, historischen und gesellschaftlichen Gedächtnisses.

Ausgangspunkt für die Arbeit mit Fundsachen waren Bücher, welche die Künstlerin in den Straßen ihrer Zweitheimat Berlin fand. Fortan diente ihr der öffentliche Stadtraum als Reservoir zur Materialbeschaffung. Doch erst 2011 begann die Multimediakünstlerin ortsspezifische Installationen aus weggeworfenen Objekten zu entwickeln. Sie spiegeln ihrer Meinung nach Menschen, Konventionen, Traditionen, Kultur und Geschichte einer


Stadt wider. Schon in den 1960er Jahren durchkämmten Vertreter der Pop Art, allen voran Rauschenberg, Kienholz und Arman, in ihrem Bedürfnis nach alltäglicher Lebenswirklichkeit Schrotthalden, Müllkippen und Trödelläden, um dort gefundene Gegenstände in ihre Objektkunst zu integrieren. Bei Fukuda geht es neben dem Nachdenken über die Probleme einer Wegwerfgesellschaft vor allem darum, etwas über die jeweilige Alltagskultur der Menschen, deren Lebensweise oder Geschmack zu erfahren. Für sie besitzen Dinge eine Seele.

Die Aufbereitung des Sperrmülls gleicht einem aufwendigen Ritual: Zunächst erfolgt eine gründliche Waschung der Fundsachen, wodurch sie ihren ursprünglichen Charakter zurückerlangen. Zugleich werden Gebrauchsspuren sichtbar, erzählt ein jedes Objekt von seiner persönlichen Herkunft. Im Anschluss werden die gesäuberten Trouvailles durch Karen Weinert fotografisch dokumentiert. In der Manier eines Stegreifentwurfes platziert die Fotografin sie spontan und frei assoziativ an und auf einem weißen Sockel, der – wie die porträtierten Gegenstände auch – ein Eigenleben zu entwickeln scheint. So entstehen ironisch-witzige Arrangements, die in ihrer Lust am Experiment und Inszenatorischen an Erwin Wurms »One Minute Sculptures« oder die Fotoserien von Anna und Bernhard Blume erinnern, nur dass eben der menschliche Akteur in Weinerts Aufnahmen fehlt.

Erst nach dieser Bestandsaufnahme werden die Gegenstände von Fukuda zu einer skulpturalen Rauminstallation geschraubt, gesteckt, geklebt, gelegt und verwebt. Dabei werden Dinge oft zweckentfremdet. An einer kleinen


Holzleiter hängt an Nylonfaden befestigtes Dunkelkammerzubehör, aus einer Gartengießkanne schießt explosionsartig künstliches Grün hervor. Sonnenstrahlen gleich senden die Neonröhren einer alten quadratischen Deckenlampe Licht, das im Laubregen der Kanne gebrochen und als Regenbogen in den Ausstellungsraum zurückgeworfen wird. Fukudas Ordnungsprinzip für die Installation ist schnell erkannt: Die Fundstücke sind nach Farben sortiert. Doch bricht die Künstlerin das Schema immer wieder auf, indem sie beispielsweise neben den Spektralfarben auch unbunte Farben integriert. In einer anderen Stadt oder zu einer anderen Zeit würde das Kunstwerk wohl ganz anders aussehen. Aus diesem Grund plant Megumi Fukuda das Projekt als soziokulturelles Mapping an weiteren Orten umzusetzen.

Unabhängig von der Installation zeigt die Künstlerin Abdrucke von aussondierten Schneidebrettchen. Diese stammen von Personen, die in den letzten zehn Jahren mit dem Ausstellungs- und Projektraum bautzner69 eng in Verbindung standen und verweisen so auf dessen Jubiläum. Die Grafiken kommen Holzschnitten gleich, nur dass die einzelnen Druckstöcke selbst durch Fukuda unbearbeitet bleiben. Die rote Aqua Linoldruckfarbe auf japanischem Seidenpapier lässt lediglich das Schnittmuster erkennen, das durch die langjährige Nutzung der Bretter in Haushalt und Küche entstand.

© Katja Dannowski

Living Case Study #Dresden: present at bautzner69


Catalogue:
Living Case Study #Dresden: present at bautzner69
Published by Ausstellungsraum bautzner69, 2013, text by Katja Dannowski,
designed by Karen Weinert & Megumi Fukuda, Hardcover, 150 x 150 mm, edition 300, (DE)